Leckerchen - Belohnung oder Bestechung?

Kaum ein Thema ist unter Hundeleuten mehr umstritten. Es scheiden sich die Geister: Arbeitet man nun mit oder ohne Leckerchen? Überspitzt gesagt, behaupten die einen: „Keine Kekse! Dem Hund muss man zeigen, wo der Hammer hängt“, andere hingegen laufen lieber säuselnd mit vollen Wursttaschen durch die Landschaft.

 

Ein hierzulande bekannter Slogan eines Trainers heißt: „Persönlichkeit statt Leckerlie“. Hört sich super an, aber ich frage mich, ob ich meine Persönlichkeit verliere, wenn ich einen Keks an meinen Hund vergebe? Wohl kaum! Ich kann nämlich beides, meine Persönlichkeit einfließen lassen und dennoch das ein oder andere Verhalten meines Hundes mit einem Keks belohnen.

Wenn ich nur eines der oben genannten Extreme lebe, dann verpasse ich die Chance und Möglichkeit, über den Tellerrand hinauszuschauen. Und überhaupt, gibt es bei dieser Gretchenfrage denn überhaupt schwarz oder weiß? Gibt es nur „Leckerchen - ja oder nein“?

Nein, natürlich nicht, aber polarisieren ist immer schick. Man hört je nach Lager: „Der Clicker-Fan und Leckerchengeber besticht seinen Hund ja bloß“ oder „Die Hardliner fügen ihren Hunden psychischen Schaden zu.“

Denkste, ganz so einfach ist das nämlich nicht!

 

Ich sage: Die Wahrheit liegt in der Mitte, aber die goldene Mitte ist nicht so spektakulär und zu differenzieren strengt bekanntlich das Hirnschmalz an. Man muss sich mehr Gedanken über das Wesen des Hundes und sein Lernverhalten machen und einzelne Charaktere berücksichtigen. Tatsächlich ist es aber so, dass ich persönlich nicht sagen kann, ob Leckerchen in der Hundearbeit grundsätzlich zu befürworten oder grundsätzlich abzulehnen sind. Geknüpft ist der Einsatz oder auch Nicht-Einsatz nämlich an vieles mehr.

 

Holen wir ein bisschen weiter aus. Zuerst einmal unterscheide ich zwischen Erziehung und Ausbildung und rate jedem, sich genau darüber Gedanken zu machen. Auch wir Menschen unterscheiden.

 

Erziehung    = gute  Manieren, soziales Handeln; möglichst konfliktarmes Leben in der Gesellschaft

 

Ausbildung   = Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten

 

 

Erziehung und Benimmregeln

 

Menschenwelt-Beispiel Nr. 1:

Nennen wir den Knaben unseres Beispiels mal Kevin. Klein-Kevin ist ein Chaot. Von verinnerlichten Benimmregeln und angemessenem sozialen Handeln scheint er Lichtjahre entfernt zu sein. Nun steht Klein-Kevin vor seiner Mama und schreit und nöhlt herum, boxt sie oder tritt sogar nach ihr. Würde seine Mutter sagen: „Kevin, box die Mama nicht, dann kauf ich dir gleich ein Eis?“ Wohl kaum, aber wenn doch, würden wir alle wohl sagen, dass ihr Verhalten nicht gerade „pädagogisch wertvoll“ ist, oder?

Klein-Kevin fehlt es also an Benimm, egal ob er nach Mama haut oder im Sandkasten die Jacqueline ordentlich mit der Schippe verprügelt.

Auch in der Hundeausbildung nenne ich einfache Benimmregeln, nämlich wie man mit anderen umgeht, wie ernst man ihn nimmt, ob man ihn respektiert und wie man sich grundsätzlich angemessen in dieser Welt bewegt ERZIEHUNG.

 

 

Ausbildung

 

Menschenwelt-Beispiel Nr. 2:

Nils hat eine fünf in Latein nach Hause gebracht. Zu Hause angekommen schlägt ihn sein Vater. Pädagogisch ebenso wenig wertvoll wie das Handeln der womöglich eiskaufenden Mama von Kevin, denn voraussichtlich helfen Druck und Prügel nicht, dass Nils bald eine 2 schreibt. Da werden wir uns hoffentlich einig sein! In Nils Falle wäre es wohl eher angesagt, den Sprössling zu fördern. Vielleicht Nachhilfe? Vielleicht mal nachfragen, warum er etwas nicht verstanden hat, warum er einen Motivationshänger hat oder ob es in der Schule andere Probleme gibt.

Wissenserwerb, ähnlich wie bei uns Menschen (z.B. das Lernen von Vokabeln und ähnliches), nenne ich in der Hundearbeit AUSBILDUNG.

 

Ich unterscheide, ob ich mich mit meinem Hund im Bereich der Erziehung oder Ausbildung bewege. Wenn mich mein Hunde-Kevin schikaniert, herumpöbelt und sich nicht an hündische Benimmregeln hält, greife ich eben nicht in den Leckerchenbeutel, sondern setze klare Grenzen. Aber wenn der Hunde-Nils ein Problem mit dem Wissenserwerb hat, dann setze ich gerne auch mal zur besseren Motivation ein Stück Wurst ein: Ich fördere, wiederhole, erkläre und belohne damit es verstanden wird.

 

Was aber genau gehört nun zum Bereich Erziehung und was zur Ausbildung?

Manchmal ist das schwierig zu sagen, denn ein Bereich geht fließend in den anderen über.

 

Erziehung ist für mich das, was wir auch unter Hunden beobachten können, also salopp gesagt, was Hunde tagtäglich miteinander tun: Wie verhält man sich gegenüber einem anderen, wie ernst nimmt man ihn, achtet seinen Individualbereich, ein gesetztes Tabu? Oft kann man ableiten: Was ein Hund auch vom anderen Hund verlangt, gehört für mich in den Bereich der Erziehung und hat eher wenig mit „geteilter“ Beute oder einem Hundekeks zu tun.

Wenn eine Althündin in der Gruppe eine Ansage macht, teilt sie sich danach eben nicht ihren Lieblingsknochen mit dem, der diese Ansage anstandslos akzeptiert hat. Erziehung ist also oft das, was mich persönlich direkt betrifft. Das kann der Umgang mit mir sein, aber auch eine Einschränkung, eine Ansage, das Achten meiner Individualdistanz oder ein einfaches, respektvolles Zuhören, wenn ich meinen Hund anspreche.

Regeln der sehr menschlichen Welt gehören aber auch dazu: Joggern oder Radfahrern nachzustellen ist ein No-Go und Nachbars Hühner werden nicht gemeuchelt.

 

Ausbildung zu erklären ist einfach, wenn man es anhand von Tricks festmacht: "Gib mir dein Pfötchen, dann bekommst du einen Keks." Das sehen viele ein und erscheint ihnen logisch, selbst dem ein oder anderen Hardliner, der bereit ist, im Tricktraining mit Leckerchen zu belohnen.

 Einfach gesagt: Ausbildung ist für mich das, was ein Hund eben NICHT natürlich vom anderen Hund verlangt. Ich konnte bislang zumindest nicht beobachten, dass einer meiner Hunde dem anderen einen coolen Trick beigebracht hat.

 

Eine Althündin erwartet hingegen, dass sie beachtet und respektiert wird, sonst verschafft sie sich Beachtung. Ein gesetztes Tabu oder eine Bewegungseinschränkung wird akzeptiert, sonst wird sie ungemütlich. Aber ich habe noch nie gesehen, dass sie einem anderen Mithund einen Trick beibringt, ihn vorausschickt ins Pylonenquadrat, ihn in den Vorsitz oder die Grundstellung nimmt, ja nicht einmal ein Sitz oder Platz einfordert.

 

Das was wir also im Bereich der Ausbildung erwarten, ist oft ziemlich hundeunnatürlich. In diesem Bereich arbeite ich persönlich neben Spielbelohnungen daher gerne mit Futterbelohnungen. Motto: "Tu etwas für mich und du bekommst was Gutes", in diesem Falle ein ausgelassenes Spiel mit mir oder einen leckeren Hundekeks.

 

Alternativen zum Leckerchen?

Klar, die gibt es, je nach Menschen- und Hundetyp: Ich kann einen Dummy werfen, dem Hund positive Aufmerksamkeit schenken, Herumalbern und Spielen oder andere Dinge tun oder erlauben, die für meinen Hund attraktiv sind.

Man muss der Vollständigkeit halber aber erwähnen, dass das Ausbleiben von Strafe und Druck auch eine Form der Belohnung darstellt. Deswegen funktioniert eben auch eine Ausbildung ohne Leckerchen. Der Hund zeigt ein bestimmtes Verhalten, weil er Druck und Strafe vermeiden möchte.

Der Zweck heiligt aber nicht die Mittel und auch das Ergebnis sieht anders aus: Ich möchte beispielsweise beim Abruf einen Hund haben, der freudig und gerne herankommt, weil er eine Belohnung erwartet. Ich möchte keinen Hund, der nur zu mir kommt, um eine Strafe zu vermeiden.

 

Damit es hier nicht endet, wo es doch gerade interessant wird, ein weiteres Beispiel: Mein Hund findet es reizvoll, hinter einem flüchtenden Hasen herzusetzen. Eigentlich klappt das Rufen in anderen Situationen sehr gut. Aber diesmal ist der Hase doch deutlich besser als der Hundekeks in meiner Hand.

 

Was also tun, wie löse ich das Problem?

Die Leckerchenfraktion würde jetzt vielleicht vorschlagen, die Belohnung NOCH attraktiver zu gestalten. Vielleicht eine ganze Fleischwurst gegen den Hasen setzen? Aber mal im Ernst, Hasen jagen ist doch viel zu reizvoll. Ich persönlich würde also nicht mit der Wurst (in der Hoffnung auf Rückkehr meines Hundes) in der Hand winken. Das Problem ist in diesem Falle ja nicht, dass ich den Rückruf mehr fördern muss. Denn der klappt ja sonst sehr gut bei weniger verlockenden Dingen.

 

Genau hier haben wir eine Situation, in der sich Erziehung und Ausbildung vermischen. Meine ganz klare Empfehlung: Verhaltensabbruch VOR Verhaltensänderung! Konkret heißt das: Ich setze ein Tabu, denn Hasen werden nicht gejagt, basta. Natürlich muss das zuerst sauber aufgebaut sein, damit es letztlich in einer Extremsituation wie dieser funktioniert. Und das tut es, wenn wirklich sauber gearbeitet wurde, im besten Falle schon von Welpenbeinen an. Eine Anleitung dazu kann und wird es hier nicht geben. Welche Fallstricke es dabei geben kann, wäre ein ganzes Buch wert.

Wenn aber der Verhaltensabbruch funktioniert (gehört für mich eindeutig in den Bereich der Erziehung, denn ich mache die Regeln, was gejagt wird und was nicht), dann kann ich nach dem Stoppen meinen Hund auch abrufen (das wiederum gehört in den Bereich der Ausbildung) und ihn dann auch entsprechend belohnen.

 

Ist eine Belohnung nicht immer eine Bestechung?

 

Ja, manchmal ist sie das tatsächlich. Aber der Unterschied liegt ganz klar darin, dass mein Hund im Idealfall eine Belohnung bekommt, WEIL er etwas getan hat, nicht DAMIT er es tut.

 

(Im Beispiel mit dem Hasen wäre das eh unnütz, denn der Hase ist der stärkere Motivator. Da kann ich mit einem halben Fleischerei-Angebot winken. Einem passioniert jagenden Hund ist die Wurst genau dann nämlich völlig egal.)

 

Oft ist in Lernstufe 1 eines Übungsaufbaus das Leckerchen tatsächlich (noch) ein Lockmittel. Aber dieses sollte schnell vom Lockmittel zur echten Belohnung werden. Immerhin ist das doch um Längen besser, als den Hund z.B. körperlich ins Sitz oder Platz zu drücken oder ihn zu bedrängen. Wer über Lernstufe 1 jedoch nicht hinauskommt, der wird ein Sitz oder Platz beim Hund tatsächlich nur erreichen, wenn er den Hundekeks sichtbar für den Hund in der Hand hat. Ein guter Trainer erklärt jedoch, wie Hunde lernen und zeigt verschiedene „Techniken“ und hilft über die Lernstufe 1 hinaus.

 

Fazit: Man tut IMMER gut daran, in dem man nicht schwarz-weiß denkt und lieber differenziert, wann und in welchem Bereich mit oder ohne Futterbelohnungen gearbeitet wird.

Pauschal beantworten können wir diese Frage jedenfalls nicht!

 

 

© Hundeschule HARMONIE MIT HUND, 2023

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