Alles braucht seine Zeit

ODER

Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht!

Ein schlaues Sprichwort sagt: „Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Und wenn man ein Pflänzchen nicht gießt, pflegt und es gedeihen lässt, wird gar nix draus.

 

Was das mit unseren Hunden zu tun hat? Viel! Nicht wenige Menschen fragen mich schon am Telefon, wie viele Stunden man denn in die Hundeschule kommen müsse. Oder es wird gleich davon ausgegangen, dass ein 10-Stunden-„Rundumkurs“ alles richten wird, egal, ob der Hund vorher manchmal sogar jahrelang als „Problem“ empfunden und Fehlverhalten toleriert wurde oder der Hund frisch eingezogen ist.

Wir können vieles, aber sicherlich nicht zaubern. Alles braucht seine Zeit. Das kleine Hundeeinmaleins lernt sich genauso wie das Einmaleins unserer Menschenkindern: Mit Fleiß und Wiederholungen, bis es sitzt. Das noch so begabteste Kind hat auch nicht im Crashkurs lesen, schreiben und rechnen gelernt und mit 8 Jahren bereits das Abitur gemacht. Kann es auch nicht, denn es war noch Kind. Hunde brauchen also nicht nur Zeit zum Lernen, sondern auch Zeit zum Reifen.

 

Gut Ding will also Weile haben. Stückchenweise, häppchenweise, bis am Ende ein ganzer Zusammenhang verstanden wird. Es sind eben nicht einfach die angehäuften erlernten Sitz-Platz-Übungen, deren „Funktionieren“ meinen Hund ausmachen. Es sind, ähnlich wie bei unseren Kindern, die verschiedenen Schlüsselqualifikationen, die eine Persönlichkeit ausmachen.

Wie ein Mosaik setzen sich Steinchen für Steinchen zusammen, bis man irgendwann den gut ausgebildeten, glücklichen Verlasshund an seiner Seite hat. Traumhund will Weile haben!

Denn es gibt so vieles mehr als nur ein technisches „Sitz-Platz-Training“. Eine Kundin aus der Funsportgruppe sagte mir neulich mit einem glücklichen Lächeln: „Es war wirklich nicht immer leicht mit Fini, aber jetzt macht unser Zusammenleben einfach nur  noch Spaß.“ Bei dieser Aussage sehe ich nicht nur den Menschen, der das sagt, sondern an erster Stelle auch den Hund, der ebenso glücklich und zufrieden ist und dazu noch im sportlichen Bereich wirklich famose Leistungen bringt. Ich sehe tatsächlich ein Team!

 

Lernen, Fordern und Fördern soll dabei aber Spaß machen und der Besuch der Hundeschule soll auch kein notweniges Übel sein. Denn MÜSSEN musst du gar nix! Gut beraten sind die Leute, die begreifen, dass der Weg das Ziel ist und man nie einen Punkt X haben wird, wo man/hund nichts mehr lernt oder kein neues Input braucht. Auch dafür sind wir Trainer da: Für neue Herausforderungen oder auch fürs „Feintuning“, fürs Feedback, neue Ideen, Spaß und Abwechslung. Kaum etwas ist für uns schlimmer als einen Hund mit richtig viel Potential zu erleben, der einen Menschen hat, der sagt: „Och, der gehorcht ja schon soweit ganz gut, das reicht mir.“

Es geht weniger darum, dass der Hund vorführreife Zirkustricks lernt. Es geht um sinnvolle Auslastung, Ideen und Kreativität und vor allem: Um gemeinsame Zeit mit dem Hund.

Denn Hunde und Menschen können meist viel mehr, als sie ursprünglich mal geglaubt haben, und vor allem: Beiden macht die gemeinsam verbrachte Zeit Spaß und schweißt zusammen.

 

Oft melden sich jedoch Menschen, die Hilfe bei Problemen suchen. Da passt die „Geiz-ist-geil-Mentalität“ nun wirklich nicht und die Frage, wie viele Stunden man den nun notgedrungen absolvieren MÜSSE, ist uns zuwider. Hat sich erst mal ein negatives Verhalten gefestigt, können wir als Trainer erst recht nicht hexen. Es gibt selten „schnelle Tipps“ die fruchten, auch wenn wir in einer oft furchtbar schnellen Zeit leben.

 

Nicht selten werde ich auf meinen Beruf angesprochen. „Ach, sie sind Hundetrainerin?“ Dann höre ich Geschichten und Probleme vom eigenen Hund, vom Lumpi der Schwiegereltern, dem Hasso der Nachbarn oder Sammy von nebenan. Und es kommt die Frage: „Haben Sie nicht mal einen Tipp?“ Nein, ich habe keine schnellen Tipps und Patentrezepte, schon gar nicht, wenn ich den Hund nicht mal gesehen habe und eigentlich lieber weiter einkaufen, spazierengehen oder das Handballspiel der Kids verfolgen will.

 

Hunde „funktionieren“ also logischerweise nicht mit Patentrezepten und Bedienungsanleitungen; das tun wir Menschen ja auch nicht. Hunde brauchen unsere Zeit und unser Engagement, ebenso wie Zuwendung, Bewegung und Futter. Auf das Zusammenleben mit Hund muss man richtig Lust haben! Man muss sich einlassen können, denn nichts ist für den Hund schlimmer, als ein ungeduldiger Methodenwechsel oder ein grober Umgang, der scheinbare, schnelle Erfolge verspricht. Denn oft ist es nicht der Trainer oder der Ansatz, der nicht passt, sondern die Tatsache, dass dem Hund gar nicht die Zeit gegeben wird, zu lernen und sich zu entwickeln!

 

Richtig ist, dass man sich als Hundehalter im Dschungel der Anbieter nicht immer gleich zurechtfindet. Manchmal muss man „seinen“ Coach und Trainer erst finden. Aber wenn ich höre, dass schon drei oder vier Kollegen den Hund und seine Menschen begutachtet haben, frage ich tatsächlich, WIE LANGE man denn mit diesen zusammengearbeitet hat. Nicht selten gab es dann die Rüttel-Schüttel-Abbruchdose, den Clicker, den non-verbalen Umgang, das „Kschschsch“ eines Hundegurus aus dem Fernsehen und was weiß ich noch alles. Im Zeitraffer, wohlgemerkt! Der Hund weiß inzwischen nimmer, wo oben und wo unten ist und hält seinen Zweibeiner für schizophren und unberechenbar. Würde ich auch, wenn ich Hund wäre! Dieser Wechsel innerhalb weniger Tage oder Wochen lässt nun wirklich jeden Beteiligten völlig kirre werden.

 

Erste Erkenntnis: Kein Trainer dieser Welt kann „hoppla hopp“ wieder richten, was lange zuvor schiefgelaufen ist.

 

Zweite Erkenntnis: Viele Wege führen zum Ziel, aber Umdenken ist für Mensch und Hund nicht leicht und braucht Zeit!

 

Dritte Erkenntnis: Man mache sich vorher schlau, ob man das wirklich will und leisten kann, was der Trainer rät. Aber wenn man sich darauf einlässt, dann bitte nicht nur für eine Stunde mit dem Trainer und halbherzig umgesetzten, womöglich sogar völlig missverstandenen Anweisungen.

Soweit so gut!

 

In fast jedem meiner Artikel kommt das ABER. Also auch hier :-) Ich war vor einiger Zeit bei einer alten Dame mit einer alten Terriermixhündin. Problem: Der Hund schoss morgens wie ein Irrwisch aus der Terrassentür und bellte erst mal eine ganze Weile wild im Garten nach möglichen Scheineinbrechern und sonstigen bösen Buben. Nach Lehrbuch lief dort einiges schief zwischen den beiden, aber ehrlich? Man hatte sich prima arrangiert und nix und niemand wurde sonst belästigt. Bis auf das eine Problem mit den Nachbarn, die wirklich völlig recht hatten mit dem Lärm, den die alte Dame schimpfend samt 13 (!) Jahre alter Hündin morgens schon vor 7 Uhr im Garten veranstaltete.

Klar, jeder halbwegs gewinnorientierte Kollege hätte total schick mittels Flipchart und dickem Stift diverse Hausstandsregelumstellungen a la „Wer geht zuerst aus der Tür“, „Wer (fr)isst vor wem“, „Wer nutzt die strategisch wichtigen Plätze“ und eben die ganze Palette gebetsmühlenartig in unzähligen Stunden der Dame nebst Terrier vorgekaut. Hätte nicht gefruchtet, jede Wette. Denn eigentlich waren die zwei sehr glücklich und hatten (bis auf die Kritik der Nachbarn) ein wirklich schönes Leben miteinander.

Ich habe tatsächlich nur eine Stunde mit den beiden zugebracht. Und dann noch mal ein bisschen telefoniert und später noch viele liebe Postkarten von den beiden aus dem Urlaub bekommen. Mehr nicht. Denn die Kunst ist es, abschätzen zu können, was wirklich gefragt ist. Es war ganz einfach: Wir führten ein Ritual ein. Frauchen hat zuerst morgens den Garten alleine betreten und ein paar Hundekekse versteckt. Hat ihr sogar sehr viel Spaß gemacht. Das alte Terriermädchen wurde dann im zweiten Gang hinterhergeschickt. Hat auch der viel Spaß gemacht. Nachdem alle Leckerchen erschnüffelt und vertilgt waren, die alte Dame sich bei jedem Fund einen Knopf an die Backe gefreut hatte, war auch der Dampf raus. Gebellt wurde beim Rauslassen nicht mehr und alle waren glücklich, auch die Nachbarn.

 

Manchmal geht es eben auch „instant“ und auf dem „kleinen Dienstweg“, wie ich es gerne nenne. Trainer sollten lernen, Kunden nicht zu verbiegen. Kunden sollten lernen, sich tatsächlich auf etwas einzulassen.

 

© Hundeschule HARMONIE MIT HUND, Stefanie Gaden, 2023

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